Manche Dinge sind schwer zu glauben, gibt es aber dennoch. Frau Hrdliczka ist Botschafterin der Leidenschaft und steht voll auf Fußball. Sie war eine Freundin von Sindelar und ging ganz gern mit ihm zum Tanz ist aber traurig, dass es seit Jerusalem (ein Austrianer) keine anständigen, feinen Fußballer mehr gibt. Dieses Interview des Jahres führte die Redakteure Christian Hackl und Fritz Neumann im Simmeringer Bad, wo sie heuer bereits 61 Mal anzutreffen war.
Standard: Wie wird man EURO-Botschafterin?
Hrdliczka: Das kann ich Ihnen net sagen. Vielleicht bin ich’s, weil ich so alt bin.
Standard: Sie waren doch im Simmeringer Freibad, da war eine EURO-Veranstaltung, und die Leute von „Österreich am Ball“ sind auf Sie zugekommen, oder?
Hrdliczka: Genau. Ich war heuer schon 61-mal im Simmeringer Bad, im Wasser war ich aber nur dreimal, das ist gefährlich, wegen der Strömung. Die netten Herren haben mich gefragt, ich habe Ja gesagt. Ich habe nicht gewusst, dass so ein Tamtam gemacht wird.
Standard: Bei allem Respekt. Sie sind sicher nicht die jüngste Botschafterin, also keine Nachwuchshoffnung im österreichischen Fußball.
Hrdliczka: Ich bin bald 94, eine richtig alte Schachtel.
Standard: Aber Sie haben zum Fußball eine enge Beziehung, erzählen Sie uns davon?
Hrdliczka: In meinen jungen Jahren war ich viel beim Fußball. Ich habe die ganze Gesellschaft bei der Columbia kennen gelernt, die war im zehnten Bezirk, in der Gudrunstraße. Da war ein Gasthaus, da war die Columbia zu Hause. Da sind der Billich, der Kozian und andere gesessen. Lauter junge, fesche Burschen. Manche haben auch auf dem Hertha-Platz gespielt, dort steht jetzt ein großer Gemeindebau.
„Mein erster Mann war ein Freund vom Sindelar. Der zweite, der Hrdliczka, hat beim FC Wien gespielt – a richtiger Abklopfer, der Smistik von der Rapid hat oft gejammert.“
Standard: Was haben Sie beruflich gemacht?
Hrdliczka: Gelernt hab ich die Schneiderei. Ich bin durch den Fußball zum Victor Schmidt gekommen, eine Schokoladenfabrik in Simmering. Mein erster Mann hat auch Kozian geheißen, er hat in der Unterliga bei Humanitas gespielt, die hat dem Schmidt gehört. Im 34er-Jahr hab ich dort angefangen, es war schwer, ich hab davor in der Schneiderei 16 Schilling in der Woche verdient, jetzt als Fabrikangestellte 27. Und wissen Sie was?
Standard: Nein?
Hrdliczka: Ich kann heute noch jeden Tag Schokolade essen, mir graust net, des glaubt ma net. Ich bin a Zuckerlesserin.
Standard: Sie kannten den Matthias Sindelar gut.
Hrdliczka: Mein erster Mann war ein Freund vom Sindelar. Der zweite, der Hrdliczka, hat beim FC Wien gespielt – a richtiger Abklopfer, der Smistik von der Rapid hat oft gejammert. Sindelar und wir sind oft gemeinsam fortgegangen.
Standard: Wohin?
Hrdliczka: Meistens in die Stadt rein, zum Tanzen in den Dominikanerkeller.
Standard: Ist Sindelar ein guter Tänzer gewesen?
Hrdliczka: Aber nein, der Papierene hat nicht viel getanzt. Dann hat er schon sein Kaffeehaus gehabt, dort sind wir sehr oft hängen geblieben.
Standard: Welchem Verein drücken Sie die Daumen?
Hrdliczka: Der Austria. Ich war immer und bin a richtige Austrianerin. Die Freunde meines Mannes haben dort gespielt.
Standard: Verfolgen Sie heute noch, was mit der Austria passiert?
Hrdliczka: Nimmer so. Wissen Sie, das geht über meinen Horizont. Wenn ich denke, was die Fußballer früher verdient haben und was jetzt, wird mir schlecht. Beim FC Wien war ein Herr Haider, der war Fleischhacker. Der hat den Fußballern unter der Budel heimlich 28 Schilling zugesteckt, seine Frau hat das nicht wissen dürfen. Heute gibt es keinen Idealismus mehr, das ist nur mehr Geldsache.
Standard: Rapid mögen Sie nicht?
Hrdliczka: Stimmt. Die waren immer die Raufer, die konnten nicht verlieren.
Standard: Wer war der letzte gute Austrianer?
Hrdliczka: Mein Gott, der Jerusalem hat mir gut gefallen.
Standard: Und der Herbert Prohaska?
Hrdliczka: Der war ja viel später, aber der Schneckerl war immer ein Guter. Von der Vienna den Juwelier, den Buzek, habe ich gerne gehabt. Und den Senekowitsch. Sehr feine Menschen.
Standard: Was ist mit Hans Krankl?
Hrdliczka: Den hab ich nie leiden können. Der war so stolz. Wer bin ich, und wer bist du. Und a Rapidler war er auch.
Standard: Für die EURO interessieren Sie sich schon.
Hrdliczka: Auf alle Fälle, die schaue ich mir schon an, wenn ich noch lebe.
Standard: Aber sicher.
Hrdliczka: Muss nicht sein, das kann schnell gehen. Andererseits sage ich: Unkraut verdirbt net, Mistvieh stirbt net.
Standard: Schauen Sie die EURO im Fernsehen an, oder würden Sie gerne ins Happel-Stadion gehen? Als Botschafterin müssten Sie ja eventuell Ehrenkarten bekommen.
Hrdliczka: Wirklich? Ich tät schon gerne gehen.
Herr Richard (ein befreundeter Badegast): Du kriegst eine Karte, und ich bin Begleitperson.
Hrdliczka: Also dann gemma halt gemeinsam ins Stadion.
Standard: Wann waren Sie zuletzt auf dem Fußballplatz?
Hrdliczka: Das ist schon lange her, da habe ich meinen Mann gesucht, weil er nicht heimgekommen ist, der Lauser.
Standard: Haben Sie das Spiel gegen Tschechien im Fernsehen verfolgt?
Hrdliczka: Nein. Ich habe mir gedacht, die haben keinen Zug zum Tor, die können nicht schießen. Aber es ist 1:1 ausgegangen, das weiß ich.
Standard: Was halten Sie von Teamchef Josef Hickersberger?
Hrdliczka: Er schafft es nicht, keiner kann es schaffen. Jeder hat es schwer, bei dem Haufen, den wir da haben. Früher war es ein Scheiberlspiel von einem zum anderen, heute ist alles vorgezeichnet.
„Die EURO schaue ich mir schon an, wenn ich noch lebe.“
Standard: Wievielter wird Österreich bei der EURO?
Herr Richard: Dritter. Das wird das Wunder von Wien.
Hrdliczka: Blödsinn.
Standard: Aber Patriotin sind Sie schon?
Hrdliczka: Auf alle Fälle. Unsere U20 in Kanada hab ich gesehen, die waren echt brav.
Standard: Müsste man mehr junge Spieler einbauen?
Hrdliczka: Ja, das ist es. Man kann aber nie in einen Menschen reinschauen, vielleicht wird aus denen auch nix. Aber Tennis interessiert mich eh mehr, ich sag’s Ihnen ehrlich.
Standard: Wer gefällt Ihnen im Tennis am besten, die Maria Scharapowa vielleicht?
Hrdliczka: Nein, um Gottes Willen, die mag ich gar net. Die Belgierin, wie heißt sie g’schwind, Henin, genau, die ist super. Der Federer ist zu überheblich, der Nadal ist mir lieber. Muster war super, da können sich der Melzer und der Koubek verstecken.
Standard: Zurück zum Fußball. In Österreich, sagt man, gibt es acht Millionen Teamchefs. Sind Sie auch einer?
Hrdliczka: Na ja. Bei uns wechseln die Spieler viel zu oft den Klub. Die Moral ist weg, es gibt keine Vereinstreue. Früher war jeder ein Idealist, weil man kein Geld gehabt hat. Jeder hat auf den anderen geschaut, heute sind alle nur Egoisten und Rangler. Im Simmeringer Bad ist das Gott sei Dank noch nicht so.
Quelle: DerStandard.at